Überspringen
Alle News

Expert-Talk „Way to Zero Emissions“

23.10.2023

Bericht zur Lage der Kraftstoff-Nation

Es waren nicht die lauten Töne, mit denen das Themenfeld für die mehr als 100 Teilnehmer der Experten-Talkreihe Energie4Mobility - 1. Expert Talk „Way 2 Zero Emissions“, den die Messe Frankfurt in Kooperation mit dem Württembergischen Automobilclub e.V. veranstaltete, orches­triert wurde. Bei der Auftaktveranstaltung dieser Talkrunde im ehrwürdigen WAC-Gebäude ging es eher um faktenbasierte Forschungsergebnisse, die in beeindruckender Weise aufzeigten, dass aktive, sofortige CO2-Reduktion ohne Berücksichtigung der Verbrennungsmotoren in der Be­standsflotte keine Chance besitzt. Dabei beschränkte sich die Talkreihe, moderiert von Jürgen Preuß (WAC, Presse und Netzwerk) allerdings nicht ausschließlich auf die kritischen Untertöne in der oftmals ideologisch-dogmatisch geführten Debatte, sondern zeigte konkrete wissenschaft­lich untermauerte Lösungswege auf, wie beispielsweise den Einsatz paraffinischer Kraftstoffe statt des fossilen Diesels, die Möglichkeiten der verstärkten Nutzung ethanolhaltiger Ottokraftstoffe wie auch die Nachverfolgung der CO2-Intensität verschiedener Kraftstoffe über den sogenannten Produktlebenszyklus, also von der Quelle bis zur Verwendung im Motor.

Weniger als 1 % der Fahrzeuge benötigen E 5

Schon der erste Vortrag von Prof. Dr.-Ing. Thomas Heinze der HTW-Saar hatte es in sich: Im Rah­men einer belastbaren Studie der HTW räumte er mit dem Vorurteil auf, die gesetzlich verankerte Schutzsorte E 5, die bis zu 5 % nachhaltiges Ethanol enthalten kann, müsse noch in vielen Fahr­zeugen statt es wesentlich nachhaltigeren E 10 verwendet werden. Sein Fazit aus der aktuellen HTW-Studie: Weniger als 1 % der deutschen Bestandsflotte benötigt nach umfassender wissen­schaftlicher Auswertung aufgrund des verfügbaren Zahlenmaterials und zusätzlicher Recherchen der HTW noch Benzin der Sorte E 5. Außerdem müssten nach der HTW-Studie nur noch 0,1 % der in Deutschland von Fahrzeugen mit Ottomotoren zurückgelegten Kilometer zwangsläufig mit E 5 zurückgelegt werden. Diese Fahrzeuge könnten aber weiterhin mit dem etwas teureren Super Plus betrieben werden.

E 10 hat höheres CO2-Reduktionspotenzial als E-Mobilität

Im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsabwägung zwischen günstigem Benzin auf der einen Seite für den Betrieb von „Liebhaberfahrzeugen“ und Umweltschutz für 99 % der Bestandsflotte sollte - so die Erkenntnis aus der Studie - das Pendel offensichtlich klar in Richtung Umweltschutz aus­schlagen und damit auch die viel kritisierte CO2-Belastung des Verkehrssektors durch den Einsatz von E 10 statt E 5 reduzieren. Pro Jahr ließen sich dadurch ca. 2,46 Mio. Tonnen CO2 einsparen, der 1.1-fache Wert, der derzeit durch den Betrieb von Elektrofahrzeugen eingespart wird – aller­dings unter der Annahme, dass Elektrofahrzeuge tatsächlich emissionsfrei wären. Ein Vorgang, der europaweit bereits in Österreich, Bulgarien und Rumänien ohne viel Aufhebens praktiziert wird. Auch Deutschland könnte damit verkehrsbedingte CO2-Emissionen durch den Einsatz von E 10/E20 um mehr als 3 Mio. sofort und ohne Umstellungen der Infrastruktur reduzieren. Dem verweigert sich allerdings das Umweltministerium: Die Neufassung der 10. BImSchV, die derzeit in Brüssel zur Notifikation vorliegt, sieht weiterhin E 5 an jeder deutschen Tankstelle als sogenann­te Schutzsorte vor. Ein Entfall dieser Regelung würde an den Zapfsäulen Platz schaffen für neue Kraftstoffe wie das im Vornormungsprozess befi ndliche E 20, den künftigen eFuels oder aber HVO-Kraftstoffen nach DIN 15940, deren Zulassung im April 2024 erwartet wird. Die vereinfacht formulierte Forderung der Mineralölindustrie: Tankstellen sollten künftig nur E 5 oder Super Plus vorhalten müssen und es sollte künftig dem Markt überlassen werden, welche Sorten sich an den Tankstellen durchsetzen. Damit wäre auch der Spagat zwischen Umwelt- und Verbraucherschutz hinreichend gewährleistet.

Nachhaltigkeitsberichterstattung demnächst ab 10 Mitarbeiter

Bedeutung hätte solch eine auf marktwirtschaftlichen Fakten basierende Entscheidung auch hin­sichtlich künftiger Regelungen, die seitens der EU auf die Mitgliedsstaaten, also auch Deutsch­land zukämen. So verlangt die Verpfl ichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSR = Corporate Sustainability Reporting) ab 2024 für Unternehmen ab 250 Beschäftigten und ab 2025 für Unternehmen ab 10 Beschäftigen in Abhängigkeit von der Bilanzsumme und den Nettoumsatz­erlösen einen Nachhaltigkeitsbericht zusätzlich zur Bilanzierungspflicht. Fällt der negativ aus, hätte das sowohl Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit als auch möglicherweise auf bestehende Kundenbeziehungen, denn niemand möchte mit einem Unternehmen zusammenarbeiten, das sich nicht um Umweltschutz schert.

Übernahme der CO2-Reduktion in Umweltberichterstattung

Genau hier könnten nachhaltige Kraftstoffe einen wesentlichen Beitrag leisten, wie im Vortrag von Prof. Dr.-Ing. Heinze am Beispiel der Umweltbilanz des Flughafen Stuttgarts dargelegt wurde, der sich aktiv ebenso an einer E 20-Erprobung als auch an einem HVO-Test beteiligt. Die CO2-Einsparungen fanden Eingang in die Umweltbilanz 2022 und weisen beachtliche Skalierungseffekte auf. So konnten schon mit relativ geringen Kraftstoffmengen durch die Verwendung von E 20 ca. 2 Tonnen CO2 (im Vergleich zu E 5), durch die Verwendung von „echtem“ E 10 ca. 3 Tonnen CO2 (im Vergleich zu E 5) und durch die Nutzung von HVO in Relation zu herkömmlichem Diesel 898 Tonnen CO2 eingespart und in die Umweltbilanz übernommen werden. Skalierungseffekte zei­gen, welche Möglichkeiten umweltfreundliche Kraftstoffe zu bieten haben.

Kraftstoffe zertifi ziert bis zum Tank auf CO2 monitoren

Ein Teilnehmer brachte es auf den Punkt: Wenn demnächst fast jeder handwerkliche Kleinbetrieb demnächst einen Umweltbericht schreiben muss, wäre es doch sinnvoll, wenn jeder Tankbeleg nachweislich schon mal die CO2-Reduktion durch alternative Kraftstoffe aufweisen würde, bzw. mit der gesamten Tankrechnung durch Tankkartendienstleister die CO2-Einsparung ausgewiesen wird. Und genau an diesem Punkt setzt die Entwicklung an, die unter anderem Bosch zur Markt­reife bringen will: Den „digitalen-Kraftstoff-Zwilling“, der kraftstoffbedingte CO2-Reduktion zertifiziert an der Tankstelle sichtbar machen soll und eine problemlose Integration in verschiedene Anwendungen erlaubt. Die Funktionsweise erläuterte Bosch-Entwickler Dirk Naber in seinem Vor­trag eindrücklich und lieferte damit schon einmal einen Ausblick in die Möglichkeiten künftigen Umgangs mit nachhaltigen Kraftstoffen.

„Echtes“ E 10 und E 20 zur CO2-Reduktion

In diesen Kontext passt der Beitrag von Dr. Georg von Graevenitz, Vorstandsmitglied der CropE-nergies AG, einem der größten Ethanolhersteller Europas. Dort fordert man längst gemeinsam mit einigen Vertretern der Mineralölindustrie und der Automobilindustrie die Einführung von E 20, also Benzin mit einem echten Anteil von 20 % Ethanol im Rahmen des bereits begonnenen Normungsverfahrens für E 20. Bis zur Umsetzung, die wohl noch bis zu zwei Jahren in Anspruch nehmen könnte, wünscht man sich „echtes“ E 10, wobei der nachhaltige Anteil dann auch für die künftigen Umweltbilanzen analog zur Vorgehensweise des Flughafens Stuttgart verwendet werden sollte. Übrigens: Derzeit wird E 10 mit „bis zu“ 10 % Ethanol an die Tankstellen gebracht, der eigentliche Ethanolanteil kann deutlich geringer sein und durch Beimischung von ETBE bzw. MTBE ersetzt werden. Da die Mischungsverhältnisse von Ethanol, ETBE und MTBE ständig vari­ieren, lässt sich E 10 nicht als Option zur CO2-Reduktion in den unternehmenseigenen Umweltbi­lanzen nutzen. Bei „echtem“ E 10 mit 10 % Ethanol könnten die Werte in die Bilanzen einfl ießen und den Unternehmensflotten helfen, ihre Umweltbelastung zu reduzieren. Dass das heute schon problemlos möglich wäre, bewies Prof. Dr.-Ing. Heinze in der von ihm vorgestellten Studie.

Verkehrssektor mit HVO entlasten

Ähnlich verhält es sich mit HVO-Kraftstoffen, die ebenfalls zur CO2-Reduktion im Verkehrssektor beitragen und im Vergleich zu herkömmlichem Diesel bis zu 90 % CO2 über den Produktlebenszyklus einsparen können. Allein am Flughafen Stuttgart konnte damit der CO2-Ausstoß im Jahr 2022 um 898 Tonnen reduziert werden. Ein Beispiel, das Schule machen sollte. Ab April 2024 rechnet man mit einer Freigabe für HVO, dann sollte das Produkt offiziell an den Tankstellen für alle Tankkunden verfügbar sein. Bisher galt das nur für Forschungs- und Erprobungszwecke. HVO-Kraftstoff ist unter den aktuellen regulatorischen Rahmenbedingungen geringfügig teurer als her­kömmlicher Diesel. Ähnlich wie beim Agrardiesel bemüht man sich seitens der Logistikbranche derzeit jedoch, zumindest eine teilweise Rückerstattung der Energiesteuer am Jahresende für die Verwendung von HVO zu erreichen. Solch eine Maßnahme wäre konform mit den EU-Vorschriften und könnte den CO2-Ausstoß im Verkehrssektor deutlich senken.

Volkswagen-Freigaben für HVO

Auch Volkswagen hat die Zeichen der Zeit längst erkannt, wie Prof. Dr. Thomas Garbe in seinem Vortrag betonte. Freigaben ab Werk für HVO-Kraftstoffe gemäß DIN EN 15940 wie beispielswei­se Neste MY Renewable DieselTM existieren bereits für alle 4-Zylinder-Diesel ab Sommer 2021, für alle 6-Zylinder-Diesel ab Februar 2022. Geplant ist eine rückwirkende Freigabe bis 2015. Erkenn­bar ist das bei Neufahrzeugen am XTL-Aufkleber in der Tankklappe. Und alle Ottomotoren der kommenden Generation erhalten ebenfalls Freigaben für Ottokraftstoffe mit bis zu 20 % Ethanol, wie an anderer Stelle bekannt wurde. Zusätzlich hat man auch normkonforme Kraftstoffe wie R33 Blue Diesel und Blue Gasoline einer umfassenden Prüfung mit positivem Ergebnis unterzogen.

Aramco mit Produktionsstart für eFuels möglicherweise ab 2025

Eine gute Nachricht konnte auch der für das Aramco-Research-Center in Paris tätige Matthias Braun all denjenigen überbringen, die der CO2-Reduktion des Fahrzeugbestands und der Zukunft der Verbrenner-Technologie positiv gegenüberstehen: Nach bisherigen Planungen wird Aramco im Jahr 2025 mit der Produktion von eFuels starten. Dabei plant der Konzern in einer Großanla­ge im spanischen Bilbao die Herstellung von synthetischem Diesel, in Neom (Saudi-Arabien) soll künftig synthetisches Benzin eine Alternative zu fossilen Kraftstoffen bilden.

Automechanika als Dachveranstaltung für Antriebsenergien

Um all diese Aktivitäten unter einem Dach zu vereinen, plant die Messe Frankfurt insbesondere für die kommende Automechanika eine technologieoffene Initiative für alle Antriebsarten, die einen Beitrag zur CO2-Reduktion liefern können. Insbesondere der Servicebereich, erster An­sprechpartner der Autofahrer, wenn es um neue Kraftstoffe geht, hat hier die Möglichkeit, sich aus erster Hand zu Neuerungen über das zu informieren, was uns in Zukunft antreibt. Philipp von Westerholt stellte denn auch in seinem Vortrag klar, dass neben den komplett neuen Antriebs-Technologien der Fahrzeugbestand immer noch einen überwiegenden Beitrag zum CO2-Ausstoß liefere. Hier könnte und sollte gerade die Automechanika aufgrund ihres internationalen Charak­ters einen wesentlichen Beitrag liefern, denn Erfahrungen aus anderen Ländern und Kontinenten sowie eine Vernetzung der Protagonisten könnte weltweit dazu beitragen, verkehrsbedingte CO2-Emissionen nachhaltig zu reduzieren. Vorbereitend zur Automechanika sind weitere Expert-Talks in Kooperation mit dem Württembergischen Automobil Club e.V. geplant.